Zervikale Dystonie

Therapie

Eine wirklich dauerhafte Heilung der zervikalen Dystonie gibt es noch nicht. Eine Ausnahme bilden aber die symptomatischen zervikalen Dystonien, bei denen die Ursache erfolgreich zu behandeln ist. Seit mehr als 10 Jahren gilt die Injektionstherapie mit Botulinumtoxin als Mittel der ersten Wahl für die Behandlung zervikaler Dystonien. Frühere Therapieversuche waren wenig oder gar nicht erfolgreich.

Eine begleitende Psychotherapie ist bei vielen Betroffenen mit zervikaler Dystonie sinnvoll. Stereotaktische Operationen scheiden bei fokalen Dystonien in aller Regel aus. Als alternative Therapie zu Botulinumtoxin profitieren einige Betroffene von einer selektiven peripheren Denervierung. Diese Durchtrennung von Nerven an den Hals- und Nackenmuskeln kommt vor allem für Betroffene in Frage, die nach anfänglich guten Erfolgen gegenüber der Botulinumtoxinbehandlung „resistent“ geworden sind. Krankengymnastik und Physiotherapie verschaffen einigen Betroffenen zusätzliche Erleichterung.

Injektionsbehandlung mit Botulinumtoxin

Der Erfolg einer Injektionsbehandlung mit Botulinumtoxin ist bei der zervikalen Dystonie nicht so einfach zu erreichen und vorherzusagen wie z. B. beim dystonen Lidkrampf. Die Liste der möglicherweise betroffenen Muskeln ist lang. Der behandelnde Arzt muss daher nicht nur Ursprung, Ansatz und Verlauf der verschiedenen Muskeln sehr genau kennen, sondern auch ihre Lage in Beziehungen zu anderen Muskeln und dem Skelett. Relativ einfach ist es noch, wenn es z. B. um eine rein drehende Form des Torticollis geht und nicht um Kombinationsformen. Bei den reinen Formen genügt die Injektion von 3 bis 5 Muskeln, während sich die Zahl der zu injizierenden Muskeln bei den kombinierten Formen erheblich erhöhen kann. Je mehr Muskeln behandelt werden müssen, desto schwieriger wird es, eine optimale Dosis für jeden einzelnen Muskel festzulegen, da eine bestimmte Gesamtdosis nicht überschritten werden sollte.

Die über 10jährige Erfahrung mit Botulinumtoxin bei zervikaler Dystonie zeigt, dass etwa 85 % der Betroffenen durch diese Behandlung weniger Schmerzen haben und /Oder eine weniger stark ausgeprägte Fehlstellung des Kopfes. Die meisten Betroffenen verspüren eine erste Wirkung bereits 3 bis 6 Tage nach der Injektion. Der maximale Effekt stellt sich im Durchschnitt nach 11 Tagen ein und hält mit Mittel ca. 10 bis 14 Wochen an.

Unerwünschte Wirkungen

Botulinumtoxin hat sich als eine sehr sichere und wirksame Therapie bei zervikalen Dystonien erwiesen. Die am häufigsten beobachteten unerwünschten Wirkungen sind Schluckstörungen (Dysphagie) sowie eine zu ausgeprägte Schwächung der Kopfhaltung. Selbst in schweren Fällen bilden sich diese Störungen innerhalb von 3 bis 8 Wochen wieder vollständig zurück.

Definition

Von allen fokalen (auf einen bestimmten Körperbereich begrenzten) Dystonien ist die zervikale Dystonie (Hals-Nackenmuskulatur betreffend) am häufigsten. Sie tritt im mittleren Lebensalter auf, bei Frauen etwas häufiger als bei Männern, und etwa ein Drittel der Betroffenen weist auch andere dystone Symptome auf. Da die Ursache der zervikalen Dystonie noch nicht geklärt ist, wird sie als idiopathisch bezeichnet.

Formen der zervikalen Dystonie

Die zervikale Dystonie ist durch unwillkürliche Drehbewegungen des Kopfes gekennzeichnet. Unterschieden wird, entsprechend der Fehlbewegung, zwischen vier Grundmustern, von denen der Torticollis spasmodicus am häufigsten, der Anterocollis am seltensten auftritt.

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Torticollis – Laterocollis – Retrocollis – Anterocollis

Kombinationen der vier Grundmuster werden sehr oft beobachten, und sie treten tonisch (= Grad der Muskelanspannung), repetitiv-phasisch (= in Phasen wiederkehrend) oder tremorös (= unwillkürlich zitternd) auf.
Symptome

Die unwillkürlichen und abnormen Kopfbewegungen entstehen durch Fehlsteuerungen aus dem Gehirn, die zur Überaktivierung einzelner Hals- und Nackenmuskeln führen. Die normale Abstimmung zwischen den einzelnen Muskeln und ihren Gegenspielern ist so gestört, dass diese Muskelgruppen fälschlicherweise gleichzeitig aktiviert werden. Meistens kann der Kopf aus der Abweichung nicht aktiv in die normale Haltung gebracht werden.

Besonderheiten der zervikalen Dystonie

Häufiger als bei anderen fokalen Dystonien werden vor Beginn einer zervikalen Dystonie Ereignisse beobachtet, die später mit der Dystonie in Zusammenhang gebracht werden. Dabei kann es sich z. B. um ein Halswirbel-Schleudertrauma oder auch um einschneidende Lebensereignisse handeln. Ob dabei ein ursächlicher Zusammenhang besteht, ist nicht geklärt.

Anders als bei anderen fokalen Dystonien ist auch, dass der Verlauf der zervikalen Dystonie sehr variieren kann. So kann eine zervikale Dystonie plötzlich völlig verschwinden (= Remission), die Symptome können für eine Zeit ausbleiben, und das Grundmuster der Dystonie kann sich verändern.

Bei keiner anderen fokalen Dystonie sind spezielle Trickmanöver (= antagonistische Geste) so wirksam. Berührt der Betroffene z. B. das Kinn mit einem Finger, kann sich sein Kopf wieder in die normale Stellung zurückdrehen. Bemerkenswert ist, dass es oft genügt, den Finger nur in Richtung Kinn zu bewegen, um die Symptomatik zu unterdrücken. Viele Betroffene leiden auch unter Schmerzen, die sie zunächst zum Orthopäden führen.

Leidensdruck

Eine zervikale Dystonie ist für die Betroffenen mit einem hohen Leidensdruck verbunden. Neben den meist begleitenden Schmerzen, die bei anderen fokalen Dystonien kaum oder gar nicht vorhanden sind, führt die dystone Symptomatik fast immer bei den Betroffenen zu einem völligen Rückzug aus der Öffentlichkeit.

Diagnose

Das klinische Spektrum unwillkürlicher Bewegungen mit einer abnormen Haltung von Kopf, Schulter- und Nacken-Region ist bei einer zervikalen Dystonie äußerst vielfältig. Das liegt unter anderem daran, dass so viele verschiedene Muskeln auf unterschiedliche Art betroffen sein können und sich häufig auch die Wechselwirkung zwischen betroffenen und nicht betroffenen Muskeln verändert. Die Diagnose „zervikale Dystonie“ wird auch dadurch erschwert, dass es nicht nur viele verschiedene Unterformen, sondern auch etliche, vor allem neurologische Erkrankungen gibt, die zu einer sog. sekundären zervikalen Dystonie führen können. Und es gibt Symptome und Erkrankungen (z. B. Skeletterkrankungen), die eine zervikale Dystonie nur vortäuschen.

Bei einer zervikalen Dystonie, die vor dem 18. Lebensjahr auftritt, sollte ein L-Dopa-Test durchgeführt werden, um ein seltenes Segawa-Syndrom auszuschließen. Die Vielfältigkeit des Krankheitsbildes legt nahe, dass eine umfangreiche klinisch-neurologische und apparative Diagnostik (Laboruntersuchungen, bildgebende Verfahren) bei Verdacht auf eine zervikale Dystonie unbedingt notwendig ist.